Kolumbien: Neuer Friedensvertrag unterzeichne. Resozialisierung, Wiedergutmachung und Versöhnung für Kolumbien

Ex-Gueriallas und Ex-Paramilitärs arbeiten mit Opfern des Konflikts, um zerstörte Infrastruktur in ihren Dörfern aufzubauen – unabhängig davon, wie der Friedensprozess weiterläuft.

BildFARC-Rebellen und die kolumbianische Regierung haben sich am 12.11. auf Veränderungen am Friedensvertrag verständigt, nachdem der erste Friedensvertrag bei einem Referendum mit 50,21% abgelehnt wurde.Dabei seien ein Großteil der 500 Änderungsvorschläge aus der Bevölkerung inklusive der Opposition um Ex-Präsident Alvaro Uribe berücksichtigt worden.

Präsident Juan Manuel Santos hat am 07.10. stellvertretend für die vielen Opfer des Krieges und dem kolumbianischen Volk, das die Hoffnung auf Frieden nicht aufgegeben hat den Friedensnobelpreis verliehen bekommen. Unabhängig davon, wie der weitere Prozess um den Friedensvertrag weiter verläuft, werden viele Friedensinitiativen bereits umgesetzt und bereiten auf die Zeit nach der Unterzeichnung vor.

Die Hoffnungsträger Stiftung unterstützt Prison Fellowship Kolumbien, eine Partnerorganisation von Seehaus e.V. (Leonberg), dabei, Modelle für die Integration von Guerillas und für Versöhnung und Wiedergutmachung zu entwickeln. Tobias Merckle, Vorstand bei Seehaus und Stiftungsratsvorsitzender bei der Hoffnungsträger Stiftung war bei der Abschlussfeier des Programms „Dörfer der Versöhnung“ in Ciudad Boliviar und bei der Eröffnungsveranstaltung des APAC-Programms im Bellavista Gefängnis in Medellin dabei.

Dörfer der Versöhnung
Die Idee für das Programm „Dörfer der Versöhnung“ entstand als Lacides Hernandez, Präsident von Prison Fellowship Kolumbien und Francisco Galan, ehemaliger Chef der ELN-Guerillas zu Besuch in Deutschland waren. Merckle berichtete aus den Erfahrungen mit solchen Projekten in Ruanda. Nach der Entlassung tausender Täter des Völkermordes aus den Gefängnissen kamen diese in ihrer Dörfer zurück und wohnten Tür an Tür mit den Hinterbliebenen, die teilweise ihre gesamte Familie verloren haben. Prison Fellowship Ruanda entwickelte das Modell Dörfer der Versöhnung. Dabei bauen Täter und Opfer zunächst Häuser für die Opfer. Nachdem alle Häuser für die Opfer fertig gestellt sind, helfen die Opfer beim Bau der Häuser für die Täter. In Kolumbien wurden bisher drei dieser Projekte durchgeführt, in San Ysidro, San Francisco und Ciudad Boliviar. Ehemalige Guerilla-Kämpfer und Paramilitärs nehmen dabei an Gesprächsrunden mit Opfern des Konflikts teil. Gemeinsam arbeiten sie dann daran, zerstörte Infrastruktur wiederherzustellen. So wurden bisher Schulen, Sportplätze, eine Betriebshalle, in denen Frauen eine kleine Nähmaschinenfabrik als Genossenschaftsmodell eingerichtet haben und eine Kirche, die auch der einzige Versammlungsort für die ganze Gegend ist wiederhergestellt. In der Ciudad Boliviar konnte Merckle bei der Grundsteinlegung für ein Begegnungszentrum dabei sein, bei der Eröffnung einer kleinen Brücke, die den Kindern einen sicheren Schulweg erlaubt und der Einweihungsfeier einer renovierten Schule und Sportplatzes.

Ehemalige Täter und Opfer bauen so gemeinsam an der Zukunft ihrer Dorfgemeinschaft und können so auch die Vergangenheit hinter sich lassen. Durch das Eingestehen der Schuld, das Kennenlernen der Lebensgeschichten, die praktische Wiedergutmachung kann Versöhnung gelebt werden. Nur so ist ein zukünftiges Zusammenleben ohne Hass und Vergeltung möglich. „Es ist faszinierend zu erleben, wie hier wirkliche Versöhnung geschieht und Opfer und Täter Hand in Hand für ihre gemeinsame Zukunft arbeiten“, so Merckle. „Dies könnte zu einem Modell für ganz Kolumbien werden, so dass die gemeinnützige Arbeit, die die FARC Guerillas sowieso leisten müssen, gut umgesetzt und wirklich der Versöhnung dienen kann“.

Resozialisierungsprogramm im Gefängnis
Das Bellavista Gefängnis in Medellin ist hoffnungsvoll überbelegt. Es wurde für 1600 Gefangene gebaut, 6600 sind dort durchschnittlich untergebracht. Früher war es eines der gefährlichsten Gefängnisse Kolumbiens mit 40-60 Toten im Monat. Dies hat sich in den letzten 15 Jahren – auch dank der Arbeit von Prison Fellowship Kolumbien – radikal geändert. Dort konnte nun ein „APAC-Programm“ in einem Hafthaus mit 440 Gefangenen eröffnet werden. Die APAC Methode stammt ursprünglich aus Brasilien und ist auch für das Seehaus Leonberg Vorbild. Durch weitgehendste Selbstverwaltung übernehmen dort Gefangene Verantwortung und tragen zu einer völlig anderen Gefängniskultur bei. Eine positive Gruppenkultur, in der sich die Gefangenen gegenseitig helfen, ist die Grundlage für das Konzept. Die Teilnehmer werden durch eine berufliche Ausbildung, Wertschätzung, ein abgestuftes System mit wachsender Verantwortung und wachsender Freiheit, die Einbeziehung der Gesellschaft und die graduelle Integration in die Gesellschaft auf ein Leben ohne Straftaten vorbereitet. Inzwischen gibt es in Brasilien 48 Gefängnisse, die ganz ohne Vollzugsbeamten auskommen und von den Insassen mit Prison Fellowship zusammen verwaltet werden, in ca. 150 Gefängnissen gibt es Abteilungen im Gefängnis, die auf Grundlage dieser Methode arbeiten.

Im Oktober letzten Jahres sind Merckle und Hernandez auf die Bosse der verschiedenen Gruppierungen zugegangen und ihnen das APAC Programm vorgestellt. Sowohl die Führer der Guerillas, der Paramilitärs und der Abteilungen mit „gewöhnlichen Kriminellen“ haben zugestimmt. Auch der Gefängnisdirektor hat die Idee unterstützt. Nach einem Jahr Vorbereitungszeit konnte nun die Eröffnung gefeiert werden. Die Gefangenen haben dazu von jeglicher Gewalt abgeschworen und sich verpflichtet, sich in Zukunft gegenseitig zu unterstützen. Der eingesetzte Gefangenbeirat leitet zusammen mit einem Mitarbeiterteam von Prison Fellowship den schwierigen Prozess, von einer Kultur der Gewalt zu einer Kultur der gegenseitigen Hilfe. Als Symbol für die Veränderung haben die Gefangenen bei der Eröffnungsfeier ihre Waffen abgegeben. Ca. 70 selbstgebaute Macheten, Dolche und Messer kamen dabei zusammen. Große Herausforderungen stehen jedoch noch bevor. Bisher gibt es nicht genügend Arbeitsmöglichkeiten für die Gefangenen. Neben der bestehenden Bäckerei sollen eine Schreinerei, eine Landwirtschaft und verschiedene andere Arbeits- und Ausbildungsmöglichkeiten entstehen. Nur wenn die Gefangenen eine Perspektive bekommen und auch schon vom Gefängnis aus durch einen kleinen Verdienst ihre Familien unterstützen können, werden sie nicht wieder dazu übergehen, mit Drogen zu handeln. Prison Fellowship Kolumbien und die Hoffnungsträger Stiftung sind hier noch auf der Suche nach Partnern. Die Insassen sind sehr motiviert und so besteht Hoffnung, dass sie durch das Training, das sie im Gefängnis erhalten später dann in ihre Kommunen zurückkehren und dort Hoffnungsträger sein können. Merckle ist überzeugt, dass“das Modell geeignet ist, um im Rahmen des Friedensprozesses auch die Insassen, die der FARC oder der ELN angehören, auf ein Leben in Freiheit und Verantwortung vorzubereiten. So hoffen wir, dass in den nächsten Jahren mehrere solcher Programme in ganz Kolumbien entstehen“.

Über die Hoffnungsträger-Stiftung
Die Hoffnungsträger Stiftung mit Sitz in Leonberg gibt es seit 2013. Sie steht Menschen zur Seite, die auf der Suche nach Schutz und einem würdevollen Leben sind. Die Stiftung setzt sich für die Integration von Flüchtlingen in Deutschland ein und vermittelt weltweit Kindern, deren Väter oder Mütter im Gefängnis sitzen, eine Patenschaft. Darüber hinaus fördert die Hoffnungsträger Stiftung ausgewählte Projekte im sozialen Bereich im In- und Ausland. Gründer der Stiftung ist Tobias Merckle, der auch das Seehaus Leonberg, einen Strafvollzug in freier Form, ins Leben gerufen hat. Als Vorstand fungiert Marcus Witzke. Dem Aufsichtsrat gehören bekannte Personen aus der Wirtschaft und dem öffentlichen Leben an.
Hoffnungspaten: Kinder von Gefangenen bekommen Unterstützung für ein hoffnungsvolles Leben.

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Seehaus e.V. ist ein gemeinnütziger Verein, der im Bereich der Jugendhilfe, Kriminalprävention und Opferhilfe tätig ist. Als Alternative zum geschlossenen und off enen Strafvollzug betreibt der Seehaus e. V. Strafvollzug in freier Form im Seehaus Leonberg (Baden-Württemberg) und Seehaus Störmthal (Sachsen) mit Ausbildungsbetrieben in den Bereichen Schreinerei, Zimmerei/Bau, Metall sowie Garten- und Landschaftsbau.

Weitere Arbeitsbereiche sind das Programm Opfer und Täter im Gespräch (OTG), eine Opfer- und Traumaberatungsstelle für Kriminalitätsopfer und Flüchtlinge, Betreuung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen und deren Gastfamilien, Begleitete Gemeinnützige Arbeit, Gewalt- und Suchtprävention für Jugendliche, Freizeitgruppen im Gefängnis sowie Übergangsmanagement und Nachsorge für ehemalige Gefangene. Außerdem betreibt der Seehaus e. V. einen Wald- und Tierkindergarten.

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